Hier geboren, in Weimar. Hier zur Schule gegangen, hier studiert und immer hier gearbeitet. In Erfurt lebe ich seit 1971. Wahrscheinlich bin ich auch hier im Haus der Älteste. Ich habe 1982 beim Rat des Bezirkes angefangen zu arbeiten. Drüben in der sogenannten Eierkiste, das damals wohl höchste Backsteinhochhaus in Mitteldeutschland. Mal schauen, ob ich die 40 Jahre vollkriege. Studiert habe ich in Jena – Marxistische Philosophie.
Nicht ganz. Ich mochte die spätbürgerliche Philosophie. Frankfurter Schule, Adorno, das ist der einzige Hefter, den ich aus meiner Studienzeit aufgehoben habe. Letztes Studienjahr, bevor es an die Diplomarbeit ging.
Obwohl man als Absolvent ja gelenkt wurde, habe ich es geschafft, nach Erfurt zu kommen. Ich war verheiratet, Kind im Anmarsch. Also habe ich mir hier an der Pädagogischen Hochschule in Erfurt einen Platz gesucht. Die wollten mich haben. In unserem Wohnhaus lebte damals ein Mann, der in der Kaderabteilung beim Rat des Bezirkes arbeitete. Und beim Frühjahresputz erzählte der mir, dass die einen Mitarbeiter für Kirchenfragen suchen. Das fand ich interessant. Ich wollte ja auf jeden Fall in die Praxis. Also habe ich mich im Rat des Bezirkes vorgestellt und die schrieben an die Uni, dass sie mich haben wollen.
Warum hat dich das interessiert?
Ich wollte nicht irgendwo arbeiten, wo sich nach einer gewissen Zeit oder sogar schnell eine große Routine in immer gleichen Abläufen einstellt. Und bei Kirchenfragen, da habe ich gedacht: Hier passiert dir das nicht. Da ist eine andere Bewegung, es wird immer neue Situationen geben. Ich war neugierig.
Das war doch aber in der DDR auch eine Arbeit, in der man viel Fingerspitzengefühl und ein hohes Maß an diplomatischem Geschick haben musste.
Das wusste ich damals nicht. Ich war ein bisschen naiv. Aber mir hat die Arbeit Spaß gemacht und ich bin dort auch bis zur Wende geblieben. Ende 1989 wurde Kirchenfragen geschlossen. Ich wurde wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Ratsvorsitzenden. Im März 1990 habe ich noch für die SED/PDS zur Volkskammerwahl kandidiert, zur ersten Landtagswahl in Thüringen nicht mehr. Ich dachte, in der Verwaltung bleiben zu können. Zu der Zeit hatten wir bereits zwei Kinder. In der Staatskanzlei begannen Ende 1990 sozusagen die Aufräumarbeiten, es kamen viele aus den alten Bundesländern. Am 28. Dezember 1990 wurde mir gesagt, dass ich im Januar nicht mehr zu erscheinen brauche. Ich war raus und in die Warteschleife für Staatsbedienstete geschickt worden. Und am gleichen Tag – ich überlegte noch, wie ich das meiner Frau erkläre – rief mich die damalige Geschäftsstellenleiterin der Fraktion Linke Liste/PDS an und sagte, der Klaus Höpcke suche einen Mitarbeiter. Ich bin gerade frei geworden, habe ich gesagt. So bin ich von der Staatskanzlei zur Fraktion gewechselt.
Wo wir gerade bei der Fraktion Linke Liste/PDS sind: Diese offenen Listen waren doch ein tolles politisches Projekt. Vermisst du das heute manchmal – diese Offenheit?
Wenn ich mir alle drei Ebenen anschaue: Die kommunale, die Landtagsebene und die Bundesebene, dann muss ich sagen, es ist historisch gesehen ein kluger Schritt gewesen. Und er ist nach meinem Gefühl auf kommunaler Ebene und auch auf Landesebene nicht beendet. Wir suchen Leute, die mit linker Politik was anfangen können und da sind wir sehr offen – es geht um Politik und Sachkenntnis und Engagement. Roland Hahnemann, Benno Lemke und Petra Enders waren und sind als Parteilose zu uns in die Fraktion gekommen.
Erstaunlich an der parlamentarischen Arbeit der Linken im Landtag Thüringen ist: Sie sind stetig gewachsen. Ein Trend, den sonst kein Landesverband im Osten aufweisen kann. Woran liegt das?
Wir haben erstens in Thüringen nie ideologisch Auseinandersetzungen geführt. Natürlich haben wir uns über Ausrichtung, Programmatik gestritten. Intensiv. Aber es waren keine Grabenkämpfe zwischen Gruppierungen.
Es hat zweitens durchaus pragmatische Entscheidungen gegeben. Wo wir gefragt haben: Was brauchen und wollen die Bürgerinnen und Bürger? Und nicht an erste Stelle gesetzt haben, was uns so das Liebste wäre. Und dafür haben wir Anerkennung und Verständnis bekommen. Dass wir uns nicht gegenseitig die Platte einhauen, sondern schauen, was wir für die Menschen hier tun können.
Dieser Gesamteindruck von Partei und Fraktion war glaubwürdig, nachvollziehbar und fassbar. Na klar hat es Pleiten, Pech und Pannen gegeben. Aber die Art und Weise des Umgangs miteinander und mit den Ansprüchen und Hoffnungen der Menschen hat viel mit Personen zu tun. Und wir hatten immer tolle Leute in der Fraktion. Die Fraktionsspitzen und die Parteispitzen haben gute Arbeit gemacht. Kollegial. Sie haben sich eingefügt und trotzdem geführt. Aber nie eitel herausgekehrt, wer und was sie sind. Dazu kommt. Wir machen eine Kommunalpolitik, die richtig gut ist. Zuhören, lösungsorientiert sein, handeln.
Aber warum war das so. Einen solchen Umgang kann man ja nicht beschließen. So unter dem Motto: Wir führen keine Grabenkämpfe. Eine besondere Eigenheit der Thüringer?
Dieser Arbeitsstil, diese Art des Umgangs sind gewachsen. Und diese Kooperationswilligkeit, die stetige Suche nach dem Konsens: Klar hat das was mit den Leuten zu tun. Es waren halt immer gute Leute.
Anfang der 90er Jahre und in gewisser Weise bis heute galt es ja auch, ob der Vergangenheit und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit zur Erneuerung, ziemlich hart mit sich und an sich zu arbeiten. Könnte das auch ein Grund gewesen sein – so eine gewisse Demut und Einsicht, dass da viel aufzuräumen und zu verändern ist?
Wir haben heute, wenn es hochkommt, knapp 5000 Mitglieder. Wählen tun uns fast 300.000. Es muss also etwas geben, wo Leute sagen: Diese Form der Politik können wir akzeptieren und finden wir gut. 1990 war das natürlich anders. Wir mussten erst unter Beweis stellen, dass wir durchaus eine Idee, eine Vision haben. Und unsere Vision war eine gerechte Gesellschaft. Das haben die Leute verstanden. Die spürten doch, dass dieser Übergang, diese Transformation nicht gerecht ist. Das mussten wir aufsammeln, sozusagen auf der Straße, und in Politik wandeln. Rentengerechtigkeit, Bildungsgerechtigkeit, Mietenpolitik. Wir haben in den 90er Jahren den 1. Mai über die Durststrecke gebracht. Jedes Jahr ein großes Fest, bis auch die Gewerkschaften irgendwann kamen und fragten: Können wir nicht mitmachen? Höhepunkt jener Zeit war der Arbeitskampf der Kalikumpel in Bischofferode, wir haben die Kumpels organisatorisch und menschlich in ihrem Kampf unterstützt. Ich denke, wir waren immer glaubwürdig.
Und dann möchte ich noch unsere gesellschaftliche Verankerung nennen. Viele, die meisten, engagieren sich in Sport- und Kulturvereinen, Elternbeiräten, Initiativen, Organisationen, Kommunalparlamenten. Wir haben drinnen gesessen und waren nicht nur mäkelnde Beobachter oder Zuschauer.
Welche Themen begleiten euch seit 1990?
Kein Ranking, aber zuerst fällt mir Bildung ein. Bildungslandschaft, -konzepte, -gerechtigkeit. Chancengleichheit. Längeres gemeinsames Lernen, kostenfreie Kitajahre. An dem Thema sind wir immer drangeblieben und da haben wir immer politische Angebote unterbreitet.
Kommunalpolitik, ganz wichtig. Ich nenne da nur mal der Kampf gegen die Straßenausbaubeiträge. Begleitet uns bis heute. Ist für die Menschen extrem wichtig. Das nimmt man uns ab, dass wir die von Beginn an abschaffen wollten. Wir haben sie jetzt gekappt. Wir haben immer kommunal gedacht und gehandelt. Aber natürlich ist es ein Unterschied, ob man Opposition ist oder Regierung. Jetzt müssen wir Probleme nicht nur erkennen und Lösungen vorschlagen. Wir müssen auch das Geld dafür finden und bereitstellen.
Und dann haben wir uns mit einer eigenständigen Umweltpolitik – auch gegenüber den Grünen – behaupten können. Das war uns wichtig – ich nenne nur die Werraversalzung – und wir können auf große Kontinuität verweisen. Das zusammen zu denken: Ländlicher Raum, Landwirtschaft, Umweltschutz, Nachhaltigkeit. Konrad Scheringer aus unserer Fraktion, der war Bauer und der hat legendäre Reden im Parlament gehalten über die Vereinbarkeit von Landwirtschaft und Umweltschutz. Wir haben immer wieder deutlich gemacht, dass wir gegen die Zerstörung der Kulturlandschaft kämpfen werden. Und haben uns eingesetzt, dass hier trotz notwendigem Wandel Kultur bleibt.
Was ist an Thüringen toll?
Ich sag mal – auch wenn ich weiß, dass über den Begriff viel gestritten wird: Thüringen ist meine Heimat. Großstadt war für mich immer nur Ausflugsziel. Ich mag unsere Städte hier in Thüringen. Ich mag den Wald. Die Kombination aus diesen Städten und der Natur ist einfach unschlagbar. Meine Familie, die stetig gewachsen ist – wir treffen uns jedes Jahr, um im Wald einen Osterspaziergang zu machen. Das ist einfach nur schön. Und müsste ich für längere Zeit weg sein, vermisste ich ganz bestimmt den Wald. Stadt findet man sicher überall. Aber diesen Wald? Den Thüringer Wald. Eher nicht.
Gibt es den Thüringer, die Thüringerin – also eine thüringische Eigenart?
Ach, da wäre ich vorsichtig. Ich betrachte Menschen nicht so. Es gibt tolle und weniger tolle Menschen hier. Wie überall auf der Welt.
Was sind die größten Aufgaben, die vor euch stehen?
Wir haben sechs Jahre gemeinsam mit der SPD und den Grünen gute Politik gemacht. Und das möchte ich weitermachen. Die Bildungspolitik muss für Lehrende, Kinder, Jugendliche und Eltern eine Kontinuität erreichen, die über die Legislaturperiode hinausgeht. Ein Schulleben ist länger als eine Wahlperiode. Wir müssen uns auf unsere ökonomische, gesellschaftliche Kraft besinnen und jetzt nach dieser Krise in Teilen wiederherstellen. Thüringen ist kein großer Industriestandort, aber ein Land mit funktionierender Wirtschaft – mit Handwerk, klein- und mittelständischen Unternehmen. Wir werden inmitten Deutschlands eine Art Logistikzentrum sein. Aber ich will nicht, dass wir ein Billig-Zentrum sind. Natürlich werden wir den Tourismus stärken. Sollten wir auch, schließlich haben wir diesen tollen Wald, die schönen Städte.
Wirst du die 40 Jahre hier im Haus vollkriegen?
Mal schauen. Langweilig ist mir nicht und wir haben noch eine Menge vor.